Warheit
Wir schreiben das Jahr 2007. Was ist geschehen im deutschen Rap? Findet er wirklich auf der Straße statt? Ist er echt? Hat er endlich seine wahre Identität gefunden? Um diese Fragen zu beantworten, wenden wir unseren Blick vom Kalendar nach Frankfurt am Main. Diese Stadt hat den deutschen Straßenrap geprägt wie keine andere. Während in anderen Teilen Deutschands mehr Wert auf Verbalakrobatik mit hohem fiktivem Inhalt gelegt wird, oder man seiner Freundin etwas liebes rappen will, bleibt „Krankfurt“ auf seinem eigenen Kurs und lebt seinen Film kompromisslos weiter, scheinbar ohne nach links oder rechts zu schauen. In dieser Stadt scheint es keinen Platz zu geben um zu „spielen“! Die Banking-Metropole ist der Geburtsort vom „Hochhaus Rap“: Reime hart wie Gusseisen, Aussagen, die einem wie Schellen um die Ohren fliegen, „Rap aus Verzweiflung und nicht aus Vergnügen“, wie Jeyz es passender nicht sagen könnte. 2007 ist das Jahr, in der man der Wahrheit in die Augen blickt. 2007 ist das Jahr von WARheit.
Die Geschichte von WARheit beginnt 2002, als sich Azad, Chaker, Jeyz und Sezai vereinigen, um gemeinsam zu rappen. Azad, irakisch-kurdischer Herkunft und seines Zeichens die Nummer eins im deutschen Straßenrap, ist der Kopf der Crew. Seine Top 10 Soloalben "Der Bozz" und "Game Over" sind bis heute Rap-Meilensteine hierzulande. Jeyz stammt aus Italien, Chaker ist Tunesier, Sezais Herkunftsland ist die Türkei. Alle drei sind bei Azads Bozz Music Label unter Vertrag und haben dort bereits auf mehreren Veröffentlichungen geglänzt.
Auf den ersten Blick wirken die vier wie relativ unterschiedliche Charaktere, allerdings teilen sie eine ähnliche Lebensgeschichte - und das schweißt sie brüderlich zusammen: Großgeworden als Immigrantenkinder, die mehr schlecht als recht versuchten, ihre Probleme zu lösen, und deren Liebe zur Musik einer der wenigen Anker war, um ihnen Halt zu geben, fanden sie in ihren Jugendjahren zusammen um gemeinsam zu rappen. Ob Geldmangel, Familienkrisen, Drogen oder der Konflikt mit dem Gesetz - über die Verhältnisse und Missstände in ihrer Gegend, dem Frankfurter Viertel Nordweststadt, gibt es genug zu erzählen. Umgeben vom benebelten Geist einer kaputten und depressiven Gesellschaft spiegeln sich Hass, Hoffnungslosigkeit aber auch aufbauende und optimistische Themen in ihren Texten wider. Rap als Selbsttherapie, nicht um „den Coolen raushängen zu lassen, sondern um sich zu befreien.“. Hier liegt eine grundlegender Unterschied zum Rap aus dem Rest Deutschlands: Versuchen andere Rapper Dämonen zu erschaffen um ihre Textseiten zu füllen, kämpft WARheit tatsächlich mit den Problemen, die sie beschreiben. Der Kampf der Unterschicht, den die vier erleben gibt ihnen genug Energie, es bleibt schlichtweg kein Platz für Märchen. Der Schmerz, den die Menschen aus ihrem Viertel und sie selbst in sich tragen, wird Zeile für Zeile verarbeitet. WARheit sind Rap-Guerillas, die das echte Bild der Straße aufzeigen und anprangern.
Um wieder zur Anfangsfrage zurückzukehren: Der deutsche Rap war nie authentischer und ist endlich bereit zur Revolution. Rap in Warheit, schonungslos und radikal.
Jedoch was motiviert die Crew zu ihren verbalen Rundumschlägen? Geprägt durch den U.S. Rap Mitte der 90er Jahre (Mobb Deep, Wu Tang oder N.W.A. um einige zu nennen) und dem aus den französischen Bonlieus stammende Sound, trägt WARheit inhaltliche Komponenten nach außen, die der Deutschrap-Hörer heutzutage nicht mehr kennt. WARheit schlägt einen ungewohnt harten Ton an: „Betonklassik“ leitet das Album ein und bestimmt sogleich die Stimmung - „Siehst Du die Bilder, die wir malen, wie kaputt sie sind? Hier ist die Welt aus Stein, nass und grau, hier wird es früh dunkel!“. Tatsächlich sind die Texte der vier MCs so greifbar, dass sie sich in die Köpfe der Hörer katapultieren wie körnige 8mm-Filme. Hart...fast wie verboten, so ehrlich gerappt, dass man meint, die „Frankstadt“ streckt ihre Arme aus für eine kalte Umarmung. „Track 2“ steht dem in Nichts nach – spätestens jetzt wird klar, das WARheit aufräumt. Punkt. Doch gibt es noch eine WARheit jenseits des Battle-Gedankens. „Track 4“ schlägt andere Töne an: „Du hast viel durchgemacht und auch so manchen Kampf verloren/doch die Fähigkeit zu kämpfen wird im Kampf geboren!/...Der ist für meine Leute, die keine Hoffnung sehen!“. Besonders stark wird die WARheit in Tracks wie „Kein Ausweg“ - Strophe 1 ist der Dialog eines Mannes, der verzweifelt in Versuchung kommt in die Drogensucht zu rutschen - er rappt im Duett mit dem Rauschmittel selbst! In solchen Momenten merkt man, wie nah die vier Rapper die Themen miterleben, über die sie schreiben.„Diese Zeilen sind aus 1000 Tränen geschrieben!“, rappt Chaker und trifft damit den Nagel auf den Kopf, wenn er damit seine ganz eigene Idee von "Blockromantik" beschreibt. Der Asphaltdschungel fordert viele Tribute, und WARheit schildert in einer fast dokumentarischen Weise, was um sie herum geschieht. Man wird Zeuge einer Welt, in der die Werte, die außerhalb der ihrigen gelten auf den Kopf gestellt werden. Das ganze kommt dabei alles andere als platt herüber, wie man bei deutschem Rap heutzutage vermuten könnte. Das WARheit Drama klingt tiefinspiriert und unverblühmt: Man "reißt sich das Herz aus der Brust und bemerkt es schlägt nicht“ - die Trauer der vier Männer wird in verklärten Visionen widergespiegelt, verzerrte Reflektionen aus einem Leben abseits der deutschen Mittelschicht. Wer bei solch expliziter Wortwahl zurückschreckt, der sollte daran erinnert werden, das in der klassischen Dichtung weitaus blutigere Zeilen vorkamen um seelische Zustände zu beschreiben. Goethe, Shakespeare oder Schiller griffen sehr gerne zu brutaleren Metaphern...
Die Idee hinter WARheit ist so straight, wie Rap nur sein kann: Azad, Chaker, Sezai und Jeyz machen Musik, die sie fühlen; Musik, die die Leute aus ihrem Umfeld anspricht. Fernab vom anpassungswilligen Kommerzgedanken, kampfbereit, mit ihren Texten als Waffen, mit bewusstem Verzicht auf Imagesuche. Es ist somit kein Wunder, das die Crew sich mit 98% der deutschen Rapszene nicht identifizieren kann.
Etwas Vergleichbares hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Mit dieser Crew durchwandert man dunkle Täler, erlebt Extreme und erfährt was dort passiert, wo die Sonne nur selten scheint. Doch keine Angst, wenn das Album einmal durchgelaufen ist, bekommt man nicht etwa Alpträume. Viel eher ist man dazu geneigt, die Repeat-Taste zu drücken. Denn irgendwie interessiert sie einen ja doch.....die WARheit. Read more on Last.fm. User-contributed text is available under the Creative Commons By-SA License; additional terms may apply.
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